Methoden
Was ist Forumtheater?
Sage uns nicht, was du denkst, sondern zeige uns, was du meinst.
Forumtheater ist die zentrale Methode des Theater der Unterdrückten. Dabei handelt es sich um einen Methodenkomplex, der Mitte des 20. Jahrhunderts vom Theaterschaffenden Augusto Boal in Südamerika entwickelt wurde, um den Menschen dort Werkzeuge zur Gestaltung und Veränderung ihrer sozialen Realität an die Hand zu geben. Vor vielen Jahren sind die Methoden Augusto Boals mit ihm nach Europa gekommen, wurden seither vielfach verwendet, verändert und finden mittlerweile in unterschiedlichen sozialen und kulturellen Bereichen Anwendung.
Beim Forumtheater Leipzig nutzen wir die Methode Forumtheater, um mit unserem Publikum durch ein Theaterstück in einen interaktiven Dialog zu treten – und zwar zu Themen, die in unserer Gesellschaft besonders konfliktbehaftet sind. Anders als bei Podiumsdiskussionen oder anderen Gesprächsformaten steht beim Forumtheater nicht die verbale Äußerung der eigenen Ideen im Vordergrund, sondern ihr Ausdruck durch Schauspiel – ganz nach dem Motto: „Sage uns nicht, was du denkst, sondern zeige uns, was du meinst.“
In diesem Sinne bekommen die Zuschauenden beim Forumtheater die Möglichkeit, selber in die Rollen der Schauspielenden zu schlüpfen. Denn erst im Handeln stellen wir fest, dass etwas leichter gesagt, als getan ist. Erst im Handeln kommen wir tatsächlich in einen Austausch mit unserem Gegenüber und können die Realität erproben, statt sie nur theoretisch zu durchdenken. Und erst beim Forumtheater begleitet uns der Schutz der Schauspielrolle, die wir wieder abstreifen können, wenn die Szene oder das Theaterstück beendet ist.
Mit dieser Perspektive öffnet Forumtheater die Möglichkeit, in einem geschützten Dialograum unterschiedliche Meinungen sichtbar zu machen, gleichzeitig gemeinsam Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme zu entdecken und damit demokratische Teilhabe zu fördern.
Wie funktioniert Forumtheater?
Ein Forumtheaterstück ist kürzer als ein klassisches Theaterstück und wird letztendlich durch die Interaktion mit dem Publikum zu einer abendfüllenden Veranstaltung. Behandelt wird ein Konflikt, der sich über mehrere Szenen erstreckt, langsam verschärft und am Ende eskaliert: Ein Happy End bleibt aus und das Publikum wird für den Moment unzufrieden zurückgelassen.
Jetzt tritt eine Moderation auf die Bühne (auch Joker genannt) und fängt diese Stimmung auf. Nachdem sie das Publikum bereits zu Beginn der Aufführung begrüßt hat, versucht sie nun zwischen Publikum und Bühnengeschehen zu vermitteln: „Welche Themen behandelt das Theaterstück? Welche Konflikte werden sichtbar? Und was hat das mit unserem Alltag zu tun?“ Die Moderation steuert so auf die letztendlich entscheidende Frage zu: „Glauben Sie, dass die Charaktere in unserem Stück anders handeln könnten?“
Nachdem das Publikum diese Frage bejaht, beginnt das eigentliche Forum, der interaktive Teil der Aufführung: Ausgewählte Szenen aus dem gezeigten Stück werden ein zweites Mal gespielt, wobei das Publikum diesmal die Möglichkeit bekommt, das Geschehen zu unterbrechen und den Charakteren Handlungsalternativen vorzuschlagen – dies geschieht nicht passiv, sondern aktiv: Der Zuschauer bzw. die Zuschauerin kommt selbst auf die Bühne, ersetzt für einen Moment einen der Charaktere und improvisiert einen Lösungsvorschlag, auf den die SchauspielerInnen wiederum improvisierend reagieren müssen. Bei einer solchen Intervention steht nicht die Ästhetik oder das schauspielerische Können im Vordergrund, auch nicht die Präsentation der perfekten Lösung. Wenn aus Zuschauern „Zuschauspieler“ werden, wie sie Augusto Boal einst taufte, geht es um den Austausch von Ideen, den spielerischen Versuch und damit auch den Mut zum und die Freude am Scheitern, das in jedem Moment durch die Schauspielrolle aufgefangen wird.
Unter Begleitung der Moderation lassen sich nach diesem Muster Szene für Szene Handlungsalternativen erproben, mit dem Ziel, die ursprüngliche Eskalation des Konflikts zu verhindern und die Charaktere weiter im Gespräch zu halten.
Je nachdem, wie viele Ideen das Publikum auf die Bühne bringen möchte, endet die Aufführung eines Forumtheaterstücks nach ca. 90 bis 120 Minuten.
Weitere Methoden
Neben der Methode Forumtheater widmen wir uns in Projekten und Workshops weiteren Methoden aus dem Spektrum des Theater der Unterdrückten.
Unsichtbares Theater
Unsichtbares Theater lässt sich ursprünglich als eine Form des Straßentheaters bezeichnen. Während beim Straßentheater das Geschehen meist offensichtlich als Schauspiel gekennzeichnet ist und darüber hinaus eine Trennung zwischen Schauspielenden und Passanten stattfindet, bleibt das Unsichtbare Theater für die Öffentlichkeit unerkannt und löst die Grenzen zwischen Schauspielenden und Passanten auf: Die Öffentlichkeit wird Teil der geplanten Inszenierung, ohne zu erfahren, dass eigentlich gespielt wird.
Ziele des Unsichtbaren Theaters sind es, gesellschaftliche Missstände in die Öffentlichkeit zu tragen, Menschen für diese Probleme zu sensibilisieren oder auch Zivilcourage zu fördern.
Obwohl Unsichtbares Theater meist im physischen Raum, an öffentlichen Plätzen, in Cafés oder beispielsweise Straßenbahnen stattfindet, erprobt das Forumtheater Leipzig mit dem Projekt „Wach endlich auf!“, inwiefern Unsichtbares Theater auch online umgesetzt werden kann.
Legislativtheater
Legislativtheater bringt aktuelle gesellschaftliche und sozial-politische Themen auf die Bühne und tritt mit den Zuschauenden in einen Dialog: Neben möglichen Handlungsideen geht es hier vor allem darum, strukturelle Vorschläge und Regularien zu entwickeln, die mit Entscheidungsträger*innen diskutiert werden und/oder an sie weitergereicht werden.
Legislativtheater ist ein Weg der Bürger*innenbeteiligung, der es ermöglicht, gesellschaftliche Entwicklung gemeinsam, nachhaltig und vielfältig zu gestalten.
Zeitungstheater
Beim Zeitungstheater werden Texte aus Print- oder digitalen Medien szenisch verarbeitet.
Der Ausgestaltung sind dabei keine Grenzen gesetzt: Aus Zeitungsartikeln oder Social-Media-Diskussionen entstehen so szenische Lesungen, Performances oder Theaterstücke.
Der Variabilität der Quellen schließt sich auch die Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten an. Zeitungstheater kann zum kritischen Kommentar werden, zur politischen Aufklärung; es kann überzeichnen und ironisieren oder im Bildungsbereich auf kreative Weise die kritische Auseinandersetzung mit Texten jeglicher Art anregen.
Bildertheater
Wie beim Forumtheater lassen sich mit der Methode Bilder- oder auch Statuentheater Konflikte verschiedener Art darstellen und bearbeiten. Im Unterschied zum Forumtheater werden diese Konflikte allerdings nicht in aufwändige Stückinszenierung und Dialoge, sondern in nonverbale Standbilder bzw. menschlichen Statuen übersetzt.
Bildertheater bietet somit einen niedrigschwelligen Einstieg in den Methodenkomplex des Theater der Unterdrückten. Die Methode lässt sich dabei als Übung während der Entwicklung eines Forumtheaterstücks verwenden oder auch als eigenständiges Format, bei dem das Publikum die menschlichen Statuen in einem Prozess formt, verändert, und damit Lösungsansätze für die dargestellten Konflikte entwickelt.
Da Bildertheater recht einfach zu erlernen ist, eignet es sich außerdem hervorragend für eine vielfältige Anwendung im Bildungsbereich, wie beispielsweise an Schulen, in Jugendgruppen sowie für Tagungen oder Konferenzen.